Warum gerade Jesus?
Nach einem Vortrag kommt eine Frau zu mir und sagt schnippisch: "An einen
barmherzigen Gott im Himmel glaube ich auch, aber einen gekreuzigten Jesus
brauche ich nicht. Ein leidender, blutende Christus am Kreuz ist mir zu unappetitlich
und zuwider!" Ich versuche ihr zu erklären, warum der barmherzige Gott im Himmel
und der gekreuzigte Jesus eins sind.
Im Sommer 1988 ereignete sich in Borken ein schweres Grubenunglück. Eine
furchtbare Explosion zerstörte einen Stollen. Eine fieberhafte Rettungsaktion
begann. Grubenwehren aus ganz Deutschland suchten nach Überlebenden und
bargen Tote. Fünfzig Bergleute kamen ums Leben. Als kaum noch Hoffnung auf
Überlebende bestand, entdeckte man sechs Männer, die sich in einem Stollenende
hatten retten können. Man begann zu rechnen und zu planen. Dann wurde eine
Bohrung niedergebracht. Und schließlich, nach langen Stunden von Bangen und
Hoffen, drangen die Retter zu den Verschütteten vor. Die Retter kamen dreckig,
verschwitzt in der gleichen Kleidung und unter Einsatz ihres Lebens zu den
Eingeschlossenen und brachten sie vorsichtig und mit viel Mühe ans Tageslicht. Was
hätte den Bergleuten in ihrer Angst und Todesnot, in ihrer Dunkelheit und Bedrohung
ein schön angezogener Bergwerksdirektor über Tage genutzt? Die Retter kamen zu
den Gefangenen herab, sie kamen in die gleiche Not und Dunkelheit hinunter. Sie
trugen die gleiche Kleidung und wurden mit den Bergleuten eins. Nur so konnten sie
sie retten. Ob die befreiten sich am Dreck und Schweiß ihrer Retter gestört haben? –
Gott will uns aus unserer tiefen Todesnot retten. Tief steigt er darum herab, bis zum
Kreuz auf Golgatha erniedrigt sich Gott. Das Blut seines Sohnes ist ihm nicht zu
teuer. Wer sich daran stört, hat noch nicht begriffen, wie tief verloren er ist. Der
barmherzige Gott im Himmel kann uns nur retten und bergen, wenn er so tief zu uns
herunterkommt, wie wir gefallen und geraten sind. Der blutende Christus am Kreuz
ist nicht schön. Aber er ist unsere einzige Rettung. Gerade im Leiden Jesu kommt die
Barmherzigkeit Gottes zum Ausdruck. Es geht hier nicht um Ästhetik, sondern um
unser Überleben. Und dazu brauchen wir den Gekreuzigten. Gott gab ihn in seiner
Liebe, und wir nehmen seine Rettung mit Dank an.
"Denn Gott hat den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht, auf
das wir würden in ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt!"
(2. Korinther 5,21)
Aus" Überlebungsgeschichten für jeden Tag" von Axel Kühner