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Prägendes Kindheitserlebnis

 

Es war an einem heißen Sommertag, als mein Vetter und ich den

Auftrag bekamen, aus dem Gemeinschaftskühlhaus des Nachbardorfes

den Sonntagsbraten zu holen. Während wir die drei Kilometer mit

dem Fahrrad zurücklegten, gerieten wir ganz schön ins Schwitzen.

Umso mehr freuten wir uns auf das Kühlhaus und die Erfrischung bei

minus 22 Grad.

 

Durch vier dicke, isolierte Türen gelangten wir in das Innere des Kühlhauses,

den eigentlichen Gefrierraum. Hier hatte jede Familie ihren großen Holzschub

mit all dem tief gefrorenen Fleisch- und Gemüsepäckchen. Als wir aus der

sommerlichen Hitze in die Kühle des Gefrierraumes eintauchten, trafen wir auf

ein Mädchen, das gerade ihre Päckchen zusammentrug und den Raum verließ.

Immer wieder hatte man uns Kindern eingeschärft: „Im Kühlhaus die Türen zu,

damit die Wärme draußen und die Kälte drinnen bleibt!“ Das Mädchen nahm

diese Mahnung ganz ernst und schloß alle vier Türen mit dem großen, außen

befindlichen Umlegehebel fest hinter sich zu.

 

Langsam wurde uns kalt

Wir hatten derweil unseren Spaß, genossen die Abkühlung, lasen auf dem

Thermometer die Kältegrade ab, ließen unsere Schweißperlen gefrieren und

suchten dann den Schmorbraten. Langsam wurde uns kalt. Wir waren ja nur mit

einem leichten Sommerhemd und ein paar Shorts bekleidet, und unsere nackten

Füße steckten in Sandalen. Nun wollten wir wieder an die Sonne und nach

Hause. Aber die Türen waren verschlossen. Wir waren gefangen. Der Raum war

eng, zwei mal drei Meter, luftdicht, schalldicht, mehrfach isoliert.

 

Vier Wände umgeben uns

Ist nicht unser ganzes Leben so begrenzt und bedroht? Vier Wände umgeben uns.

Die Wand hinter uns möchte ich Geburt nennen. Die Unfreiheit des Lebens

beginnt ja schon mit der Geburt. Wir werden gar nicht gefragt, ob wir geboren

werden wollen, in welchem Elternhaus, in welchem Jahrhundert, in welchen

Verhältnissen und mit welchen Anlagen. Niemand kann sich aussuchen, ob er

als Junge oder Mädchen, im Krieg oder Frieden, in Armut oder Wohlstand zur

Welt kommt. Wir werden einfach hineingeworfen in das Leben und müssen uns

zurechtfinden.

Viele Menschen haben diese Wand verwünscht und den Tag ihrer Geburt

verflucht, haben sich gegen Eltern und Verhältnisse, Umstände und Zeit erhoben,

gegen ihre Grenzen und Gaben angekämpft. Aber niemand kommt hinter diese

Wand zurück. Sie steht fest. Wir sind nun einmal geboren.

 

Die Wand des Todes

Die Wand vor uns möchte ich Tod nennen. Sie scheint manchmal weit weg und

ist doch so nah. Diese Wand begrenzt unser Leben schmerzlich und übermächtig.

Sie macht den Menschen zu einem Gefangenen der Angst vor dem Sterben. Ich

sehe, wie die Menschen diese Wand mit wunderbaren Bildern des Lebens

verhängen oder in ohnmächtiger Wut gegen sie anrennen. Aber die Wand des

Todes bleibt stehen, eisigkalt und stumm.

 

Die Wand des Schicksals

Die Wand zur einen Seite nenne ich Schicksal, und ich meine damit all die

Dinge, die uns im Leben überfallen und begrenzen, ohne dass wir sie wollen

oder wählen, wünschen oder verhindern könnten. Krieg und Vertreibung,

Krankheit und Verluste. Unfälle und Katastrophen haben Menschen eingesperrt.

Wie viele dinge konnten wir gar nicht entscheiden, sondern sie wurden einfach

über uns verhängt. An dieser Wand haben sich unzählige Menschen den Kopf

eingerannt und sind mit der verzweifelten Frage „Warum?“ gescheitert. Die

Wand steht da.

 

Die Wand der Schuld

Die Wand auf der anderen Seite nenne ich Schuld. Diese Wand zieht jeder

Mensch selbst, indem er Entscheidungen trifft, Worte sagt oder unterlässt, Wege

geht oder vermeidet, handelt oder alles laufen lässt. Wenn man Entscheidungen

wiederholen, Worte zurücknehmen könnte, wie anders würde sich manches

Leben gestalten. Aber die Wand der Schuld steht da, ganz massiv und

lebensbedrohend.

 

Panische Angst

Zuerst kam es uns wie ein Abenteuer vor. Aber dann kroch mit der Kälte auch

die Angst an uns hoch, griff mit spitzen Fingern nach uns und krallte sich in uns

fest. Wir schrieen aus Leibeskräften um Hilfe. In panischem Schrecken

trommelten unsere Kinderfäuste gegen Tür und Wände.

Viele Menschen empfinden ihr Leben zunächst als Abenteuer und nehmen die

Bedrohung und Gefahr Grenzen und Engpässe als willkommene Chance und der

Bewährung entgegen. Aber irgendwann wächst die Angst und mündet in einen

Schrei und Protest ein. Aber wer hört uns schon und könnte die Wände des

Lebens so einfach beiseite schieben.

Nachdem unsere Stimmen heiser geschrieen und die Hände blutig geschlagen

waren, kam die Phase der Vernunft. Wir wurden ruhig und überlegten, was wir

tun könnten. Wir rieben uns gegenseitig Hände und Füße, Nase und Gesicht,

bewegten uns und hielten einander warm.

 

Eine Hoffnung

Jetzt hatten wir nur noch eine Hoffnung. Sie war nicht in uns, sondern in einer

Beziehung nach außen begründet. Wir dachten an unsere Mütter. Die einzige

Rettung wäre, wenn uns zu hause jemand vermissen und mit Sorge an uns

denken würde.

So war es dann auch. Unsere beiden Mütter sorgten sich, telefonierten

miteinander, dachten an einen Unfall und machten sich auf den Weg. Sie fuhren

den ganzen Weg ab und suchten uns. So kamen sie schließlich zum Kühlhaus,

sahen unsere Räder dort stehen, liefen hinzu öffneten die Türen, und wir

taumelten in die Freiheit.

 

Gott kommt zu uns

Gott ist wie eine Mutter. Er macht sich Sorgen um uns Menschenkinder, denkt

mit Liebe an uns und macht sich auf den Weg, uns zu suchen. Seine große

Fürsorge treibt ihn. Er geht den Menschen den ganzen weg nach bis in das

Gefängnis von Geburt und Tod, Schicksal und Schuld. Gott kommt von außen

aus der unbegrenzten Ewigkeit, aber er kommt hinein in unser Leben, wird

geboren als Mensch, stirbt den frühen Tod, nimmt das ganze menschliche

Schicksal als sein eigenes auf sich und erniedrigt sich unter alle menschliche

Schuld.

Jesus Christus öffnet unser Gefängnis. Die Wand der Schuld trägt er fort, indem

er am Kreuz für uns stirbt und das Gericht erduldet. Gott lässt seine

Menschenkinder nicht verloren gehen. Er sucht sie in Liebe, wie uns damals

unsere Mütter suchten.

 

Nur ein Schritt in die Freiheit

Der Schritt in die Freiheit war so einfach, aber wir mussten ihn tun: hinausgehen,

die Freiheit schmecken und danken. Alles andere konnten wir nicht tun. Wir

brauchten nur die von Mutterhänden in Sorge und Liebe geöffneten Türen 

durchschreiten.

So einfach ist der Schritt in die Gemeinschaft mit Gott: Das Angebot der

Vergebung, die aufgeschlossene Tür zum Leben für sich persönlich in Anspruch

zu nehmen, hindurchgehen, indem man die Schuld bekennt, und freiwerden,

indem man Gott für seine Liebe dankt.

Die Bibel sagt: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist Jesus treu und

gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Untugend.“

(1.Johannes 1,9)

 

                                                                                                         Axel Kühner